Unvernunft ist Programm

Aus Liebe heiraten zu dürfen, ist für die Frauen des 19. Jahrhunderts einer der wichtigsten Fortschritte in Richtung Emanzipation!

 

- So wichtig, dass bis heute alle anderen Faktoren als vergleichsweise rückständig und lieblos wahrgenommen werden: Vernunftgründe eine Rolle spielen zu lassen gilt schlichtweg als berechnend und das Verfassen eines Ehevertrags bereits als Zeichen mangelnder Liebe.

 

Der Sieg des möglichst naiven Gefühls über Ratio und Materie, das Ideal blinden gegenseitigen Vertrauens und der Glaube an die ewig dauernde Verbindung von Mann und Frau sind Aspekte der romantischen Liebe, die heute noch unsere Vorstellung von einer perfekten Beziehung dominieren.

 

Scheiden lassen sich anderen...  wir lieben uns für immer!

"Im Jahr 2007 betrug die Scheidungsquote in Deutschland rund 37,67 Prozent, d.h. auf eine Eheschließung kamen rechnerisch ca. 0,4 Ehescheidungen" (1)

 

Jede dritte Ehe wird geschieden.

 

Die Wahrscheinlichkeit, dass es auch uns trifft, ist also gar nicht so gering. Und doch blenden wir für die eigene Ehe die Möglichkeit einer Trennung vollkommen aus - und nehmen uns damit die Chance für den Ernstfall vorzusorgen.

 

In keinem anderen Lebensbereich handeln wir mit vergleichbarer Fahrlässigkeit – und das nur, weil es zu unserer Auffassung von Liebe gehört. Möglichst sorglos in die Ehe zu gehen, zeugt von der Stärke meiner Gefühle und dem Vertrauen, das ich in meinen Partner habe:

 

"Von mir aus kann das ja jeder handhaben wie er will aber ich würde ja gar nicht heiraten wenn ich Zweifel an der Beziehung hätte. Natürlich ist das etwas naiv, aber das gehört dazu. (…) Ohne Vertrauen geht es nicht und ich will meine Ehe nicht mit einem unterschwelligen Vertrsauensentzug (sic!) beginnen." (2)

 

Grenzenloses Vertrauen haben wir auch in das Ehe- und Scheidungsrecht. Die meisten frisch Verheirateten sind der Meinung, die Rechtsprechung würde im Falle einer Trennung ihre Interessen schon umfassend berücksichtigen:

 

"Frauen und Männer glauben, dass sie sich mit der Eheschließung und während der Ehe nicht mehr um Risiken und Folgen kümmern müssen, weil sie von der Gewissheit ausgehen, dass ja "alles" staatlich geregelt ist." (3)

 

Eine Überzeugung, der man auch nur anhängen kann, weil man sich eben nicht über die tatsächlichen rechtlichen und finanziellen Konsequenzen einer Ehe informiert hat:

 

"Es existieren hohe Erwartungen hinsichtlich der Institution "Ehe" bei gleichzeitig geringem Kenntnisstand über deren rechtlichen Rahmen sowie über (lebenslange) Folgen von Entscheidungen und Ereignissen während der Ehe. (…) Nahezu alle bedeutsamen Begriffe im Kontext "Ehegüterrecht" sind einem großen Anteil der Bevölkerung und auch der Verheirateten gänzlich unbekannt.(…) Erhebliche Wissensmängel in Bezug auf Rechte und Verbindlichkeiten des/der Einzelnen gegenüber der Partnerin/dem Partner gibt es sowohl in Bezug auf die Phase während einer Ehe als auch für die Zeit nach einer Scheidung." (4)

 

Der Wunsch nach einer vom Gefühl getragenen Verbindung und die Notwendigkeit, die rechtlichen Folgen einer Eheschließung zu überschauen, stehen sich in unserer Kultur nun einmal unversöhnlich gegenüber. Bis heute gewinnt das Gefühl.

 

Und so bildet nicht die Realität häufiger Scheidungen inklusive erheblicher materieller Einbußen sondern unser romantisches Liebesideal die Grundlage für die Entscheidungen, die Frauen hinsichtlich ihrer finanziellen Versorgung treffen. An die Stelle von Realitätssinn und vorausschauender Umsicht tritt das "Wissen", dass die Liebe für immer halten wird.

 

In unserer Vorstellung von der Liebe als Schlaraffenland werden ohnehin alle Bedürfnisse auf ideale Weise befriedigt. Ein Seitensprung kommt in diesem Ideal genauso wenig vor wie chronische Differenzen oder auch einfach nur die Tatsache, dass man sich auseinander gelebt hat.

 

Doch gerade Beziehungen, die dem Konzept der Liebe als Schlaraffenland folgen, sind besonders anfällig für Trennungen. Die Erwartungen an den Partner als Glücksbringer sind extrem hoch und werden deshalb auch schnell enttäuscht: Wenn sich im Laufe des Zusammenlebens herausstellt, dass der Mann das Entsorgen des Müllbeutels bereits als seinen Anteil an der Hausarbeit definiert und unter einem romantischen Abend versteht, dass seine Frau ihm das Bier zur Sportschau serviert, dann war der Auserwählte doch nicht der "Richtige".

 

Was liegt also näher, als sich wieder zu trennen und das Glück bei einem anderen zu suchen:

 

"Wenn gegenseitige Liebe und partnerschaftliches Verständnis als die Basis einer modernen Zweierbeziehung betrachtet werden, beinhaltet das Verschwinden dieser emotionalen Basis gleichzeitig auch die Möglichkeit einer Trennung, weil in einer Liebesehe die Ehe ohne Liebe sinnlos wird." (5)

 

Doch warum sollten sich Liebe und finanzielle Vorsorge gegenseitig ausschließen! Ein respektvoller Umgang mit dem Partner und mit der eigenen Person berücksichtigt doch auch, dass Emotionen sich einmal ändern können.

 

Wer gelernt hat, sein Leben selbstverantwortlich zu führen, macht seine materielle Existenz ohnehin nicht von Gefühlen abhängig – nicht von den eigenen und erst recht nicht von denen eines anderen. Er oder sie baut für den Fall einer Trennung vor.

 

 

(1) Scheidungsquote in Deutschland von 1960 bis 2017,

    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76211/umfrage/scheidungsquote-von-1960-bis-2008/         Zugriff 28.11.2018   

    

(2) # 11 5.2.2011 Gast Kommentar   

     https://www.elitepartner.de/forum/frage/was-spricht-fuer-gegen-einen-ehevertrag.16136/  

     Zugriff 23.12.2018

 

(3) Dr. Carsten Wippermann, Dr. Silke Borgstedt, Heide Möller-Slawinski:

     Partnerschaft und Ehe – Entscheidungen im Lebensverlauf. Einstellungen, Motive, Kenntnisse des    

     rechtlichen Rahmens. Paderborn, 2014, S. 13  

     http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Partnerschaft-

     undEhe,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf

     Zugriff 28.12.2015

 

(4) Ebd. S. 11/12

 

(5) François Höpflinger: Ehe und Familie im Wandel. West- und nordeuropäische Entwicklung – als

     Ausnahmeentwicklung. S.9/10

     https://www.yumpu.com/de/document/read/5208510/ehe-und-familie-im-wandel-hoe.flingercom 

     Zugriff 12.08.2020

 

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