Fatal:  Ehegattensplitting und Teilzeitarbeit

Der deutsche Sonderweg: Das Ehegattensplitting

In den meisten europäischen Ländern ändert der Familienstand nichts an der Besteuerung des Einkommens:

 

"Wie eine Übersicht über die Einheit der Einkommensbesteuerung bei Ehepaaren der OECD (2005) zeigt, werden in den meisten OECD-Ländern Ehepartner individuell besteuert (z.B. in Österreich, Schweden, Finnland, Dänemark, Italien, Ungarn, Japan, Niederlande)." (1)

 

In Deutschland dagegen wurde Ende der fünfziger Jahre ein Steuermodell etabliert, das die Auswirkungen der Steuerprogression bei Doppelverdienern abfedern sollte. Mit der Konsequenz, dass Ehepaare dann steuerlich begünstigt werden, wenn einer der Partner wenig oder gar nichts verdient:

 

"Bislang folgt dieses Steuermodell einem schlichten Prinzip: Paare, bei denen beide Partner arbeiten und in etwa gleich viel verdienen, haben fast nichts vom Ehegattensplitting. Paare aber, bei denen ein Partner weitaus mehr verdient als der andere (auch heute ist das vielfach der Mann) oder gar nicht arbeitet (vielfach die Frau), spüren das Ehegattensplitting deutlich. Sie können bis zu 600 Euro netto im Monat mehr haben. Bei Spitzenverdienern kann das sogar noch mehr sein." (2)

 

 

Frankreich fördert Geburten ...

Anders in Frankreich: dort mindern  die im Haushalt zu versorgenden Kinder die Steuerlast der Familie:

 

"Im Gegensatz zum deutschen Steuerrecht kennt das französische Steuerrecht kein Ehegattensplitting mit der Besteuerung der Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft, sondern praktiziert ein Familiensplitting (quotient familial) (…). Durch die Anwendung dieses Quotienten, der das zu versteuernde Einkommen nicht mehr nach den Gesamteinkünften des Haushaltes bemisst, sondern es pro Kopf der Familie aufteilt, ergibt sich besonders mit steigendem Einkommen und höherer Kinderzahl eine deutliche Minderung der Einkommensteuer." (3)

 

Die Besteuerung nach Anzahl der Kinder bleibt auch für  Alleinstehende, Geschiedene oder getrennt Lebende bestehen, abhängig davon, in welchem Haushalt die Kinder leben. Yolaine z.B. ist alleinerziehend und profitiert vom Familiensplitting:

 

"Dass in Frankreich Vater Staat seinen Kindern hilft, zeigt auch Yolaines Steuerbescheid: "Ledig, alleinerziehend und drei Kinder: Das macht 4,5 Teile!" "Teile" heißen in Frankreich die Steuerbegünstigungen: Üblich ist lediglich ein Teil. Seit sie Kinder hat, muss Yolaine keine Steuern zahlen." (4)

 

Kein Wunder, dass in Frankreich die Geburtenzahlen höher sind, als in Deutschland: "Im Standortvergleich ist die hohe Geburtenrate stets jener Punkt, bei dem Frankreich auch beim kritischsten Ökonomen gegenüber Deutschland besser wegkommt. Im Schnitt bekommen Frankreichs Frauen zwei Babys – ein europäischer Spitzenwert." (5)

 

Und weil das Familiensplitting Berufstätigkeit nicht "bestraft", haben französische Mütter nicht nur mehr Kinder als deutsche, sie arbeiten auch mehr:

 

"65 Prozent der französischen Mütter mit Kindern unter sechs arbeiten Vollzeit. Zum Vergleich: Von dieser Müttergruppe sind hier (in Deutschland, Anm. von mir) 62 Prozent in Teilzeit beschäftigt." (6)

 

... Deutschland fördert die Ehe

Weder im internationalen noch im innerdeutschen Vergleich fördert das deutsche Ehegattensplitting das, wofür es augenscheinlich geschaffen wurde: "Ein Drittel aller Kinder wird heute von Eltern großgezogen, die nicht miteinander verheiratet sind. Und 40 Prozent aller Ehen, die vom Ehegattensplitting profitieren, sind kinderlos." (7)

 

Was es dagegen begünstigt, sind die Rechtsform Ehe und eine konservative Rollenverteilung, wie sie in der Allein- oder Zuverdienerehe zu finden ist.

 

Die Anfänge der Teilzeitarbeit

Das Ehegattensplitting gilt als Grundlage für den Boom der Hausfrauenehe in Deutschland. Doch davon war direkt nach seiner Einführung Ende der fünfziger Jahre noch nichts zu spüren.

 

Im Jahr 1957 waren 33,7 % der Erwerbstätigen Frauen. Bis 1968 war ihre  Zahl auf 30,3% gesunken, allerdings auch die Anzahl der arbeitenden Männer (von 65,5% im Jahr 1957 auf 59,7% im Jahr 1968). In den Folgejahren stieg die Frauenerwerbsquote wieder kontinuierlich an bis auf 33,8 Prozent im Jahr 1980 (8). Und auch Ehefrauen gingen weiter arbeiten: "1970 war sogar fast jede zweite erwerbstätige Frau verheiratet." (9)

 

Berufstätigkeit bedeutete bis Ende der fünfziger Jahre Vollzeitbeschäftigung in einer 48-Stunden-Woche –  auch für erwerbstätige Ehefrauen. Doch dann wurde erst die allgemeine Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden reduziert und wenig später eine erste Form der Teilzeitarbeit für verheiratete Frauen geschaffen:  "In den 60er Jahren ermöglichten die so genannten ‚Hausfrauenschichten‛ den Betrieben, die Betriebszeit entsprechend den Erfordernissen zu verlängern, ohne gleich eine komplette Vollzeitschicht einzuführen." (10)

 

Erst als sich die Teilzeitarbeit zunehmend als Beschäftigungsmöglichkeit etabliert, beginnen verheiratete Frauen, weniger zu arbeiten. Und jetzt entfaltet auch das Ehegattensplitting seine volle Wirkung: Obwohl mehr Frauen arbeiten, verringert sich ihr Arbeitsvolumen insgesamt kontinuierlich – bis heute:

 

"In Deutschland betrug die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Männern im Jahr 2017 durchschnittlich 38,9 Stunden, Frauen arbeiteten im Durchschnitt 30,5 Stunden. Abgebildet wird die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von allen Beschäftigten (Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte)." (11)

 

Damit ist der wöchentliche Stundensatz gegenüber 2014 noch einmal gesunken. Damals lag er für Frauen bei 30,8 Stunden pro Woche, im Jahr 1994 noch bei 33,5 Stunden. (12)

 

Erst die Kombination von Ehegattensplitting und Teilzeitarbeit führt dazu, dass verheiratete Frauen in Deutschland immer weniger für ihren eigenen Lebensunterhalt arbeiten. Solange ihr Gehalt durch die schlechtere Steuerklasse beim Ehegattensplitting überdurchschnittlich gemindert wird und der Kita-Platz einen Großteil ihres Verdienstes auffrisst, lohnt es sich für sie nicht. Und für den Moment ist die logische Konsequenz, weniger arbeiten zu gehen.

 

Für die Zukunft geht die Rechnung nur dann auf, wenn sie bis an ihr Lebensende verheiratet bleibt. Wie häufig das im Durchschnitt ist, zeigt die Scheidungsstatistik...

 

Nur, wer heute selbst für den eigenen Lebensunterhalt sorgt - sei es durch Erwerbstätigkeit oder einen Ehevertrag, hat im Fall einer nicht gänzlich unwahrscheinlichen Trennung noch eine materielle Zukunft vor sich! Das betrifft auch das Alter. Die Rentnerin, die Flaschen sammelt, nehmen Teilzeit arbeitende Frauen durchaus wahr, genauso wie die Alleinerziehende, die ihre Kinder wegen Ebbe in der Haushaltskasse nicht mit auf Klassenreise schicken kann. Für ihre eigene Person aber blenden sie dieses mögliche Szenario vollkommen aus.

 

Ehegattensplitting und Teilzeitarbeit sind dabei nur die Rahmenbedingungen, innerhalb derer Frauen ihre finanzielle Unabhängigkeit aufgeben. Die Bereitschaft, Mann und Kinder über alles, auch über die eigenen materiellen Bedürfnisse zu stellen und der Glaube,  dass sich mit dem "Richtigen" eine eigene finanzielle Vorsorge erübrige, das sind die persönlichen Voraussetzungen, die jede von uns mitbringen muss. Und genau diese Ideen, die sich später für uns als fatal herausstellen können, werden uns heute noch in unserer Vorstellung von der Liebe als "Schlaraffenland" vermittelt.

 

(1) Hermann Buslei und Katharina Wrohlich: Besteuerung von Paaren – Das Ehegattensplitting und seine Alternativen https://www.diw.de/de/diw_01.c.465265.de/presse/diw_roundup/besteuerung_von_paaren_das_ehegattensplitting_und_seine_alternativen.html Zugriff 2.12.2017

 

(2) Simone Schmollack: Debatte Ehegattensplitting. Wir arbeiten beide. http://www.taz.de/!5128805/ Zugriff 14.12.2015

 

(3) Familiensplitting: Eine haushaltsgerechte Einkommensbesteuerung, https://de.ambafrance.org/Familiensplitting-Eine-haushaltsgerechte-Einkommensbesteuerung. Zugriff 2.12.2017

 

(4) Martina Zimmermann: Vater Staat hilft mit. Warum alleinerziehende Mütter in Frankreich gut zurechtkommen. http://www.tagblatt.de/Nachrichten/Warum-alleinerziehende-Muetter-in-Frankreich-gut-zurechtkommen-219151.html, Zugriff 15.12.2017

 

(5) Holger Alich, Katharina Kort, Helmut Steuer: Demografie. Was Frankreich und Schweden besser machen.https://www.handelsblatt.com/politik/international/demografie-was-frankreich-und-schweden-besser-machen-seite-3/3533626-3.html?ticket=ST-3026703-yb3XuILpXU0jf2ecdsQy-ap3

Zugriff 02.12.2017

 

(6) Familien in Europa. Familienleben in Frankreich.http://www.eltern.de/familie-und-rlaub/familienleben/familien-in-frankreich.html Zugriff 16.02.2016

 

(7) Simone Schmollack: Debatte Ehegattensplitting. Wir arbeiten beide.http://www.taz.de/!5128805/ Zugriff 14.12.2015

 

(8) siehe: Jürgen Sensch,(1997-2004 [2004]), histat-Datenkompilation online: Erwerbstätigkeitsstatistik in der Bundesrepublik Deutschland. Ausgewählte Daten von 1950 bis 2000.

http://www.gesis.org/histat/de/table/details/2BBE45DA53B2D0B96AD97D3F422A10D6#tabelle.

Zugriff: 24.2.2017

 

(9) Jennie Veronika Giranowski / WS 11/12 Wandel der Geschlechterrollen in den 1960er Jahren. https//wiki.fernuni-hagen.de/zeitgeschichte/index.php/Wandel_der_Geschlechterrollen Zugriff 24.2.2017

 

(10) Ralph Kattenbach: Der Teilzeitanspruch in der betrieblichen Anwendung. Eine Analyse zum Einfluss von Personalverantwortlichen auf die betriebliche Umsetzung des Teilzeitanspruchs. München 2009 S. 24

 

(11) J. Rudnicka: Durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland nach Geschlecht bis 2017. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/827965/umfrage/durchschnittliche-wochenarbeitszeit-in-deutschland-nach geschlecht/Zugriff 07.09.2019

 

(12) siehe: Wochenarbeitszeit gesunken: Erwerbstätige Frauen arbeiten heute im Schnitt fast 3 Stunden weniger als vor 20 Jahren. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) 2015. https//www.bib-demografie.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Download/Grafik_des_Monats/2015_08_frauenerwerbstaetigkeit.pdf?__blob=publicationFile&v=3 Zugriff 23.3.2017

 

 

 

© 2019 Irene Goldmann